In Teil 4 der Serie haben wir das Ausmaß des Müllproblems der Modeindustrie besprochen. Warum werden nur 0,1% aller getragenen Kleidungsstücke im Kreislauf wieder in ein neues Kleidungsstück recycelt? Dafür müssen wir einen Blick in die Realitäten des Textilrecyclings werfen.
Der erste Schritt ist die Sammlung von Altkleidung, wobei Deutschland eine führende Rolle spielt. 75% der getragenen Kleidung fließt hierzulande zurück an karitative oder kommerzielle Organisationen, über Abholungen zu Hause, Rücksendungen an Markenhersteller, Sammelbehälter in Läden oder Altkleidercontainer (bei denen sich eine Sammelstelle von Fairwertung empfiehlt).
All das, was nicht in den direkten Wiederverkauf geht, landet früher oder später in einer Sortierstation.
Dort stehen Verwerter vor der Herausforderung, Unmengen an Kleidung nach Materialien, Farben und Qualität zu sortieren. Das geschieht bisher fast ausschließlich manuell und ist damit langsam, umständlich, und ungenau. Kleidungsstücke kommen ohne Label an, womit ihre Materialzusammensetzung schlecht nachvollziehbar ist. Auch die Labels selbst sind nicht immer korrekt (z.B. kann dort „100% Baumwolle“ stehen, aber Reißverschlüsse, Knöpfe, Verzierungen oder die Fäden, mit denen das Kleidungsstück genäht wurde, können aus anderen Materialien bestehen). Darüber hinaus ist ein Großteil der Kleidung nicht aus einem Material gefertigt, sondern besteht aus einer Mischung verschiedener Materialien (dazu später noch mehr). Das erschwert einen sauberen Sortiervorgang. Die Lösung könnten automatische Sortiertechnologien sein, die auf Infrarot (NIR) oder UV-Strahlung (VIS) basieren. Anlagen, die diese Technologien einsetzen (z.B. von Fibersort, Resyntex, SIPTex) können Altkleidung automatisch nach Material und Farbe sortieren. Diese Technologien stehen jedoch noch ganz am Anfang und brauchen noch Jahre bis zur Reife und Anwendung auf breiter Basis.
Wenn die Textilien oder Altkleider sortiert vorliegen, Knöpfe und Reißverschlüsse entfernt sind, dann gehen sie in eine von vielen Arten des Recyclings.
Stoffrecycling ist die Wiederaufarbeitung von Stoffen, Reste aus der Herstellung oder von übriggebliebener Neuware, um in neue Kleidungsstücke verarbeitet zu werden. Das wird arbeitsintensiv und nur im kleinen Maßstab möglich, oft im Upcycling in Individualproduktion oder Kleinserien.
Garnrecycling ist das Auftrennen von Strickkleidung, um das Garn wiederzugewinnen und daraus ein neues Kleidungsstück herzustellen. Meine Oma machte das früher mit unseren zu klein gewordenen Pullovern. Auch hier das Problem: arbeitsintensiv und nicht skalierbar.
Mechanisches Recycling ist das Schreddern von Altkleidung, um die darin enthaltenen Fasern zurückzugewinnen. Der überwiegende Anteil des heute üblichen Recyclings basiert darauf. Natürliche Materialien wie Baumwolle oder Wolle können so verarbeitet werden. Durch das Schreddern der Kleidung werden die Fasern verkürzt und verlieren damit an Qualität, daher müssen mechanisch recycelte Fasern mit neuen Fasern gemischt werden. Bei Altkleidung aus Baumwolle ist der Recyclinganteil üblicherweise nur ca. 20%, bei recycelter Baumwolle aus Fabrikresten oder unverkaufter Neukleidung sind es bis zu 40%. Der Recycling-Effekt ist daher nicht besonders groß. Nur bei erstmals verarbeiteter Wolle kann der Anteil recycelter Fasern höher sein. Die geschredderten Textilien sind dabei entweder farblich sortiert oder müssen noch umgefärbt oder gebleicht werden. Aus all diesen Gründen wird recycelte Wolle und Baumwolle oft nur downgecycelt, z.B. zu Dämmmaterialien, Putzlappen oder Füllstoffen.
Wenn in der Modeindustrie das Recycling von synthetischen Textilien erwähnt wird, handelt es sich in den allermeisten Fällen um mechanisches Recycling von PET Flaschen. Diese Flaschen werden eingeschmolzen und zu Textilfasern weiterverarbeitet. Ein solches recyceltes Polyester ist nicht so strapazierfähig wie neues Polyester, gibt beim Waschen mehr Mikroplastik frei (zumindest am Anfang), und kostet dabei noch 20-30% mehr als neues Polyester. Aber recyceltes Polyester liegt in der Industrie trotzdem voll im Trend, eine Vielzahl von Firmen setzt darauf, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, unter ihnen H&M, C&A, Marks & Spencer, adidas und Nike. So ist es nicht überraschend, dass der Anteil des recycelten Polyesters in den letzten 10 Jahren von 9% auf 14% gestiegen ist.
Der Rohstoff dafür sind die angesprochenen PET Flaschen, keine Marke hat derzeit Ziele für Faser-zu-Faser Recycling oder investiert signifikant genug, um die Modeindustrie in eine Kreislaufwirtschaft zu verwandeln. Das ist problematisch, denn PET Flaschen können in einem fast geschlossenen Kreislauf 10-15 Mal wieder zu neuen PET Flaschen verarbeitet werden. Werden PET Flaschen aber in Textilien recycelt, kann das Shirt oder Fleece aus recyceltem Polyester im Normalfall nicht weiter in ein neues Kleidungsstück recycelt werden (die Ausnahme ist chemisches Recycling, dazu kommen wir nachher noch). Das Kleidungsstück geht nach der Nutzung also zumeist auf die Mülldeponie oder wird verbrannt. Die zur Herstellung von Kleidung verwendeten PET Flaschen werden somit dem Recyclingkreislauf zu neuen Flaschen entzogen, dort wird damit mehr neues Polyester benötigt.
Darüber hinaus wird es der Modeindustrie kaum möglich sein, ihre Versprechen hinsichtlich recyceltem Polyester einzuhalten. China verbot 2018 (und noch einmal schärfer in 2021) die Einfuhr von Plastikmüll. Das Importvolumen sank um 99%, es fehlen 2 Millionen Tonnen an Material. Gleichzeitig wirken neue EU Gesetze, die die Nutzung von recyceltem Polyester in Flaschen und Verpackungen vorschreiben. Die Konkurrenz um den wertvollen Rohstoff rPET tobt, die Kosten steigen. Es wird projiziert, dass die Produktion von recyceltem Polyester zwar steigen wird, sein Anteil an der Gesamtproduktion bis 2030 allerdings wieder sinken wird.
Die große Hoffnung der Modeindustrie liegt im chemischen Recycling, mit dem Textilien durch den Einsatz von Chemikalien wieder in die ursprünglichen Grundbestandteile zurückgeführt und in neue Fasern und Kleidung weiterverarbeitet werden können. Diese Prozesse existieren für mehrere Materialien, u.a. für zellulosebasierte Fasern wie Baumwolle, Lyocell und Viskose, oder auch für Polyester. Damit können Fasern produziert werden, die bis zu 100% recycelte Materialien enthalten.
Bei Baumwolle existiert dieses Verfahren schon auf kommerzieller Basis, aus ihr wird Zellstoff gewonnen. Dieser Prozess kann wiederholt werden, aber mit jedem Mal geht etwas an der Qualität des Polymers und damit der Qualität der daraus produzierten Faser verloren.
Die Firma Lenzing bietet mit Refibra eine Lyocell-Faser an, die aus Baumwollresten der Textilproduktion und Holz basiert. Evrnu produziert eine regenerierte Baumwollfaser aus 100% Altkleidung, Spinnova eine aus Holz und landwirtschaftlichen Abfällen (ebenso wie die Infinite Fiber Company). Re:newcell nutzt nur Textilien (Baumwolle, Viskose) als Material, kauft diese aus Textilsammlungen u.a. in Indien an, hat eine Pilotanlage in Schweden und will deren jährliche Kapazität von 60.000 Tonnen auf 360.000 Tonnen bis 2030 ausweiten.
Neben den natürlichen Materialien gibt es chemisches Recycling auch für synthetische Fasern, insbesondere für Polyester und Polyamid (Nylon). Diese Verfahren sind jedoch oft aufwändig, benötigen viel Energie und Chemie, und sind kostenintensiv. Daher werden sie bisher bislang im Textilbereich noch nicht auf breiter Basis eingesetzt. Teijin produziert mit Eco.Circle ein solches recyceltes Polyester, Econyl ein Nylon aus 100% recycelten Materialien wie z.B. Fischernetzen.
In der Modeindustrie, insbesondere im Fast Fashion Bereich, werden jedoch oft Mischfasern verwendet, die ungleich schwerer zu recyceln sind. Dabei kommt es zu Mischungen, die man als hybriden Horror bezeichnen kann, wie ein Kleid von Gucci aus 47% Baumwolle, 33% Polyester, 16% metallisierter Faser, 4% Polyamid (mit einem Futter aus 73% Acetat und 27% Seide) oder ein Hoodie von Zara aus 31% Polyester, 31% Acryl, 30% Nylon, 4&% Wolle, 4% Elasthan. Solche Produkte sind am Ende ihres oft sehr kurzen Lebens Müll, ihre Materialien können nicht zurückgewonnen werden.
Bei einfacheren Mischungen wie Polycotton (Polyester/ Baumwolle) gibt es Lösungsansätze, die allerdings noch in den Kinderschuhen stecken. Worn Again kann Polycotton chemisch wieder in reines PET und in Zellulose trennen und dabei bis zu 20% zusätzliches Material (wie z.B. Elasthan oder Färbemittel) herausfiltern. Dafür plant die Firma derzeit eine Demonstrationsanlage in der Schweiz, die im Jahr 1.000 Tonnen Material recyceln kann. Das Hong Kong Research Institute for Textiles and Apparel und die H&M Foundation arbeiten an eigenen Lösungen für Polycotton.
Obwohl chemisches Recycling für eine Kreislaufwirtschaft in der Modeindustrie in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, ist es technologisch und ökonomisch noch nicht ausgereift und noch mindestens 5-10 Jahre von einem kommerziell skalierbaren Einsatz entfernt. Und auch dann ist es ungewiss, ob diese Recyclinglösungen für die oft qualitativ geringwertigen Mischfasern der Fast Fashion Industrie anwendbar sind.
Um der Modeindustrie einen größeren Schubs in Richtung Kreislaufwirtschaft zu geben, braucht es mehr. Es braucht freiwillige Verpflichtungen aus der Industrie, von Marken und Händlern wie auch über Industrievereinigungen (wie den Fashion Pact oder die Global Fashion Agenda). Obwohl es einzelne Initiativen und Willensäußerungen dahingehend gibt, ist bei weitem noch nicht genug passiert. Daher werden wir um Gesetze nicht herumkommen, die die Produzenten in die Pflicht nehmen, wie es die EU mit ihrer „Extended Producer Responsibility“ (EPR) vorhat. Diese schlägt vor, dass Produkte kreislauffähig sein müssen, um Zugang zum europäischen Markt zu erhalten, das heißt die müssen recycelte Materialien enthalten, strapazierfähig sein, repariert werden können und recycelbar sein (worum sich die Hersteller selbst kümmern müssten).
Um eine Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, ist die Rückgewinnung von Materialien aus Altkleidung unabdingbar. Müll wird neue Kleidung, der Einsatz neuer Materialien wird reduziert. So entfallen Auswirkungen auf Landnutzung und Abholzung, es werden Emissionen eingespart und weniger Wasser und Energie verwendet. Aber auch das Recycling selbst ist energieintensiv, verursacht Emissionen und kommt nicht ohne Wasser und Chemikalien aus. Darüber hinaus müssen recycelte Materialien heute noch zu oft mit neuen Rohstoffen gemischt werden und sind daher noch nicht wirklich zirkulär. Die Nachhaltigkeitsberatung Quantis hat berechnet, dass unter einer Annahme von 40% Zirkularität bis 2030 (53% der Materialien gehen ins Recycling, davon kann 75% als recycelte Faser weitergenutzt werden) werden 6% Treibhausgase vermieden und die Frischwassernutzung geht um knapp 5% zurück. Das ist ein sehr begrenzter Hebel.
Recycling allein kann die Probleme und den ökologischen und sozialen Fußabdruck der Modeindustrie nicht lösen.
Es kann sogar den gegenteiligen Effekt erzeugen, wenn dadurch dem Konsumenten suggeriert wird, er/sie könne ohne schlechtes Gewissen mehr Kleidung kaufen und früher wieder entsorgen, im Glauben dass diese in einer magischen Maschine einfach wieder zu neuer Kleidung weiterverarbeitet wird. An der Wegwerfmentalität der Modeindustrie ändert sich so nichts.
Wir brauchen also noch weitere Hebel, um die Modeindustrie nachhaltiger zu gestalten.
Liegt die Antwort vielleicht in neuen Geschäftsmodellen?
(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)
Foto: Fibersort
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