Über Jahrhunderte hinweg waren die Materialien für Kleidung ausschließlich natürlichen Ursprungs. Tiere lieferten Häute, Schafe Wolle, Pflanzen Stoffe aus Leinen oder Hanf. Wer es sich leisten konnte trug Seide. Später ermöglichte die koloniale Ausbeutung die Entwicklung der Baumwollindustrie. Mit dem rasanten Bevölkerungswachstum des 20. Jahrhunderts begann man zu spüren, dass es nicht einfach war, die Produktion dieser Materialien immer weiter auszuweiten.
Ein Blick auf die verfügbaren Fakten zu natürlichen Materialien zeigt uns deren Auswirkungen.
Baumwollanbau benötigt viel Land, 2,5% der für Landwirtschaft geeigneten Flächen der Welt, und ist ressourcenintensiv. Zum Anbau werden große Mengen Wasser benötigt, 4% aller Düngemittel und 16% aller Pestizide. Für die Herstellung eines Kilogramms Baumwolle werden oft 3 Kilogramm Chemikalien verwendet.
Wolle benötigt 278 Hektar Land zur Herstellung einer Tonne an Rohmaterial (verglichen mit einem Hektar im Fall der Baumwolle), und die Herstellung ist CO2 intensiv. Auch das Tierwohl ist nicht immer gewährleistet (u.a. durch Mulesierung). Das hochwertige Kaschmir hat einen der größten Fußabdruck aller Rohstoffe, 100x so hoch wie Schurwolle. Seit den 1990er Jahren hat sich die Zahl der Ziegen in der Mongolei von 4,5 Millionen auf 27 Millionen fast versechsfacht – auf gleicher Fläche. Ein Großteil des Weidelandes der Mongolei ist verödet und versteppt.
Leder hat ebenfalls einen großen Fußabdruck aufgrund der für die Rinderhaltung benötigten Landflächen sowie des Ausstoßes an Treibhausgasen. Darüber hinaus werden für die Verarbeitung von Tierhäuten große Mengen an Wasser und Chemikalien benötigt.
Viskose schließlich, eine der frühesten Chemiefasern und seit 1892 als günstige Alternative zur Seide hergestellt, ist ein Hybrid aus natürlicher und synthetischer Faser. Aus Holzrohstoffen wird durch chemische Lösungsmittel ein zähflüssiger Zellstoff gewonnen, der zu Fäden verarbeitet wird. Zur Herstellung werden große Mengen Chemikalien wie Natronlauge und Kohlenstoffdisulfid benötigt, die schwere gesundheitliche Auswirkungen haben können (zu sehen im Video Fast Fashion – The Shady World of Cheap Clothing). Mittlerweile wird bei der Herstellung von Viskose immer öfter das weniger umweltbelastende Modal (aus Buchenholz) oder Lyocell verwendet (oft unter dem Markennamen Tencel aus Eukalyptusholz). Ein weiteres Problem bei Viskose ist, dass der Holzrohstoff nicht immer aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt und somit zur Abholzung von Wäldern beiträgt.
Bei allen natürlichen Rohstoffen gibt es Auswirkungen auf Natur und Mensch, und diese steigen im Gleichschritt mit der stark ansteigenden Nachfrage durch die Modeindustrie mit: mehr Land für den Anbau von Baumwolle, mehr Wälder für die Produktion von Zellulosefasern, mehr Weideland für Rinder und Schafe.
Zur Hilfe eilen synthetische Alternativen.
Nylon ist eine Polyamidfaser, die 1940 von DuPont entwickelt wurde. Aufgrund der elastischen Eigenschaften findet Nylon Anwendung im Bade- und Sportbereich, in Stretch-Jeans und ähnlichen Produkten. Hergestellt aus fossilen Rohstoffen, wird viel Energie und Wasser zur Herstellung benötigt, und mit Stickstoffoxid wird in der Herstellung ein weiteres Klimagas ausgestoßen.
Polyester wurde ein Jahr später, im Jahr 1941, patentiert. Ebenfalls eine synthetische Faser aus fossilen Rohstoffen, ebenfalls wasser- und energieintensiv in der Herstellung. Darüber hinaus wird in 80-90% aller Fälle Antimontrioxid als Katalysator verwendet, was in der Faser verbleibt, im Laufe der Zeit freigesetzt wird, und im Verdacht steht, krebserregend zu sein.
Diese Probleme konnten den Siegeszug des Polyesters und anderer synthetischer Fasern in der Modeindustrie nicht aufhalten. Im Jahr 2000 wurde erstmals mehr Polyester als Baumwolle verwendet, und die Produktionsmenge verdoppelte sich bis 2020. Heute macht Polyester mehr als die Hälfte des gesamten Produktionsvolumens aus (54 Millionen Tonnen), Baumwolle ein Viertel (26 Millionen Tonnen). Synthetische Fasern haben heute bereits einen Anteil von 69% an der Gesamtproduktion, eine Zahl die bis 2030 auf drei Viertel ansteigen wird.
Die geringen Kosten synthetischer Rohstoffe, aber insbesondere von Polyester, ermöglichten erst das explosive Wachstum der Fast Fashion Industrie. Aufgrund des aggressiv niedrigen Preises dieser Kleidung überrascht der hohe Anteil synthetischer Materialien nicht: 85% bei Boohoo, 79% bei Uniqlo, 76% bei Forever 21, 65% bei H&M (sogar 72% bei ihrer als nachhaltig deklarierten „Conscious Collection“), 64% bei Zara.
Der Hunger nach Ressourcen ist aufgrund der gigantischen Produktionsmengen immens: die Produktion synthetischer Fasern benötigt mehr Öl als ganz Spanien. Die Textilindustrie ist der drittgrößte Verbraucher von Plastik, nach der Verpackungs- und Bauindustrie. Sie verarbeitet das Äquivalent von 3 Billionen Plastikflaschen (im Vergleich dazu: weltweit wurden 2021 circa 583 Milliarden PET Flaschen produziert). Die Öl- und Gasindustrie baut auf zukünftiges Wachstum in der Plastikherstellung, um Verluste im Öl- und Gas-Kerngeschäft auszugleichen. BP erwartet 95% des zukünftigen Umsatzwachstums aus der Plastikproduktion.
Polyester allein verursacht 700 Millionen Tonnen an Emissionen, soviel wie Deutschland. Und dabei ist dieser CO2 Fußabdruck in der Realität sogar noch viel höher. Woran liegt das?
Bis zum Jahr 2019 gab es keine komplette Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Analysis – LCA) von Plastikemissionen. Die bisherigen Emissionsanalysen basierten auf lückenhaften und fehlerhaften Daten. Die Gewinnung von Rohöl kann bis zu einem Faktor 7 abweichen, je nach Standort und Fördermethode. Die Plastik-LCA nutzte einen von der Realität abweichenden Ölmix: heute findet 93% der Polyesterproduktion in Asien statt, wo die mit Öl verbundenen Emissionen höher sind. Die energieintensive Herstellung basiert größtenteils auf Kohlestrom. Und bei der Herstellung von Erdgas, insbesondere durch Fracking, entweicht Methan in viel höherem Ausmaß als bisher angenommen (Methan ist ein 30x stärkeres Treibhausgas als CO2). Nach neuesten Erkenntnissen ist Erdgas genauso emissionsintensiv wie Kohle. Auch wenn man die Produktion von Polyester komplett mit erneuerbare Energien betreiben würde, würden sich die Emissionen nur um die Hälfte reduzieren. Es gibt kein emissionsarmes Plastik.
Darüber hinaus sind Plastikfasern nicht biologisch abbaubar, inklusive des schon besprochenen Katalysators Antimontrioxid (im Gegensatz zu Pestiziden in der Baumwollherstellung) und es fehlt an skalierbaren Lösungen für Faser-zu-Faser Recycling.
Eines der gravierendsten Probleme von Polyesterkleidung ist jedoch das der Mikroplastik. Das sind kleinste Faserpartikel, die durch die Nutzung aber insbesondere bei jedem Waschgang gelöst werden. Mehr als ein Drittel der gesamten Mikroplastik weltweit entsteht beim Waschen von synthetischen Textilien, eine halbe Million Tonnen pro Jahr (das Äquivalent von 50 Milliarden Plastikflaschen). Mikroplastik wurde mittlerweile überall gefunden: in der Antarktis, im Himalaya, im Marianengraben (dem tiefsten Punkt der Ozeane), tief in den Lungen lebender Menschen (bei fast jedem der Getesteten), in der Plazenta schwangerer Frauen, und im menschlichen Blut (bei 80% aller Getesteten). Pro Jahr nimmt jeder von uns geschätzte 74.000 Mikroplastikteilchen auf, Tendenz steigend. Bisherige Lösungsansätze der Industrie fokussieren sich auf das Ende der Kette – Filter und Waschsäcke. Aber wie realistisch ist das milliardenfache Umrüsten von Waschmaschinen? Und auch wenn wir diese Mikroplastikteilchen einfangen, sind sie ja noch da und müssen anderweitig entsorgt werden.
Das klingt nicht gut. Und so müssen wir den Blick wieder auf die natürlichen Materialien richten, trotz ihrer eigenen Probleme, und Nachhaltigkeit systemisch und auch unter sozio-ökonomischen Aspekten betrachten.
Der Anbau und die Produktion von natürlichen Materialien sichert die Existenz von hunderten Millionen Menschen und ihren Familien. Wenn sie diese Materialien nicht mehr herstellen, dann müssen sie etwas anderes anbauen, sie haben keine Alternative. Ebenso werden dann ihre Einkünfte reduziert (wenn sie vorher schon profitablere Alternativen gehabt hätten, hätten sie diese schon genutzt). Auch sind Anbaualternativen oft noch umweltschädlicher (z.B. erhöht der Wechsel von Baumwollanbau auf Reisanbau den Wasserbedarf deutlich).
Am Beispiel der Baumwolle wird das sehr deutlich, mit überraschenden Erkenntnissen. Die Baumwollpflanze ist ein Xenophyt, das sind Pflanzen, die sehr gut an extrem trockene Standorte angepasst sind. Weltweit wird in weniger als 50% des globalen Baumwollanbaus bewässert. Im Jahr 2018/19 benötigte der Anbau von Baumwolle im globalen Schnitt 1214 Liter pro Kilogramm Faser, das ist weniger als in LCA Studien zitiert wird und weniger als z.B. Weizen benötigt. Im Globalen Süden ist Baumwolle die wichtigste „Cash Crop“ (für den Markt erzeugte landwirtschaftliche Pflanzen), oft die einzige Einkommensquelle in Ländern wie Benin, Zambia oder Zimbabwe. In solchen Ländern, wo der konventionelle Anbau dominiert, steht der pro-Kopf-Wasserverbrauch bei 17-20 Litern am Tag, verglichen mit der 10 bis 15-fachen Menge an Wasser pro Kopf in Großbritannien oder den USA.
Die Modeindustrie strebt auf breiter Front an, bei ihren Baumwollprodukten auf Biobaumwolle oder Baumwolle der „Better Cotton Initiative“ (BCI) umzustellen. BCI selbst nennt sich das „größte Baumwollnachhaltigkeitsprogramm“. Baumwolle aus dem globalen Süden ist dort kaum zu finden. Bei genauerem Hinsehen kann man erkennen, dass oft Äpfel mit Birnen verglichen werden, und solche Industrieinitiativen ihre Versprechen oft nicht erfüllen können.
Überall in der Modeindustrie kursiert der Fakt, dass die Herstellung von Biobaumwolle 40, 80, oder sogar 90% weniger Wasser benötigt als konventionelle Baumwolle. Fast immer werden dabei Studien des Textile Exchange zitiert, die allerdings Daten aus unterschiedlichen Jahren und Regionen nutzte, um den Wasserbedarf konventioneller vs. Biobaumwolle zu vergleichen. Tatsächlich ergeben neuere Studien (z.B. der Laudes Foundation), dass Biobaumwolle mehr Wasser benötigt als konventionelle oder BCI Baumwolle. Bei konventioneller Baumwolle wird zu Recht kritisiert, dass synthetische Düngemittel und Pestizide zum Einsatz kommen, während Biobaumwolle auf natürlichen Dünger. Allerdings wird bei der Berechnung des Fußabdrucks von Biobaumwolle der eingesetzte natürliche Dünger (Gülle) und die damit verbundenen Emissionen der Tierhaltung nicht berücksichtigt (wir sprechen von empfohlenen 18 Tonnen Gülledünger pro Hektar). So ist es auch beim Abwasser – es ist nicht richtig, dass nur die Abwasserbelastung aus konventionellem Baumwollanbau problematisch ist, das auch bei Gülledünger beim Biobaumwollanbau der Fall. Die geringeren Erträge des Anbaus von Biobaumwolle erhöht die Landnutzung, was oft mit Abholzung von Wäldern und Verlust an Biodiversität einhergeht.
Es gibt keinerlei belastbare Daten und Studien, die belegen, dass der Wechsel von konventioneller Baumwolle zu Biobaumwolle sozioökonomische Vorteile für die Farmer hat (Farmer von Biobaumwolle haben weniger Einkommen pro Arbeitsstunde, sind höher verschuldet, und wechseln in großem Maße zurück zu konventionellem Anbau), weniger Wasser oder CO2 verursacht, oder in sonstiger Weise nachhaltiger ist. Aber es besteht die Gefahr, mit dem Fokus auf Biobaumwolle Millionen von Kleinbauern im globalen Süden zu diskriminieren.
Mit ähnlichen Problemen haben auch andere natürliche Materialien zu kämpfen. Sie schneiden immer wieder relativ schlecht in Ranglisten ab, ob es um Emissionen, Wassernutzung, Eutrophierung (übermäßige Nährstoffanreicherung z.B. durch Düngung) oder Ressourcenverbrauch geht. Wie wir schon beim Fall von Polyester gesehen haben, ist dieser Vergleich oft unfair.
Ausgestattet mit so differenzierten Erkenntnissen ergibt sich auch Stück für Stück ein klareres Bild für Lösungsansätze für eine nachhaltigere Modeindustrie:
1) Synthetische Materialien sollten wir nur dort nutzen, wo es keine technische Alternative gibt. Und wenn wir sie nicht vermeiden können, brauchen wir technologische Innovation zur Vermeidung von Mikroplastik (statt diese am Ende des Prozesses einfangen zu wollen). Keine große Modemarke hat sich dahingehend verpflichtet.
2) Wir brauchen Materialinnovationen für erneuerbare, bio-basierte Fasern aus Biomasse, Zuckerrohr, Mais, Pflanzenresten, Algen, Orangenfasern, Kaffeesatz, künstlicher Seide, Algen oder ähnlichen Rohstoffen, im großen Maßstab.
3) Die Umsetzung von Prinzipien regenerativer Landwirtschaft für Baumwolle/ Zellulose-basierte Fasern (aus schnellwachsenden Pflanzen ohne großen Flächenbedarf, z.B. Bambus), als Teil eines gesunden Ökosystems, mit weniger (besser: ohne) Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden. Darüber hinaus muss der Lebensunterhalt der Millionen von Kleinfarmern gewährleistet werden.
4) Regierungen stehen in der Verantwortung, umfangreiche, akkurate und verifizierte Nachhaltigkeitsinformationen einzufordern. Private Unternehmen dürfen nicht unilateral über den Fußabdruck von verschiedenen Fasern entscheiden.
5) Erhöhung der Produktionseffizienz in der Produktherstellung – Reduktion der Produktionsabfälle (oft 10-20% des Materialeinsatzes).
Aber das ist nicht alles. Den größten Hebel für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie haben wir noch nicht erwähnt. Tatsächlich handelt es sich um das bestgehütete Geheimnis der Industrie, und kaum jemand möchte darüber sprechen.
Wir werden es tun… in einem der nächsten Artikel.
(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)
Foto: Trisha Downing auf Unsplash
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