Auf was achten wir, wenn wir Kleidung kaufen?

Für die allermeisten von uns stehen dabei Passform, Bequemlichkeit und Stil im Vordergrund. Gleich darauf folgt ein günstiger Preis (77%), ebenso wollen 74% beim Kauf Ausbeutung in der Lieferkette vermeiden. 55% der Deutschen wollen faire Arbeitsbedingungen und Löhne. Ebenso kaufen 50% der Deutschen Kleidung bei günstigen Händlern und Marken. Wenn es nach dem deutschen Konsumenten ginge, dürfte ein normales weißes T-Shirt 11,90 Euro kosten, für die nachhaltige Variante sind sie bereit, 15,84 Euro zu zahlen.

Sehr oft hört man „Man muss sich Kleidung leisten können“. Aber wer bezahlt den niedrigen Preis?

Am 24. April 2013 stürzte nahe der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka ein neunstöckiges Gebäude ein, das mehrere Textilfabriken beherbergte. Über 1.100 Menschen kamen ums Leben, 2.500 wurden verletzt. Die Arbeiter hatten bereits Tage zuvor Risse in den Wänden gemeldet, wurden aber gezwungen, ihre Arbeit anzutreten. Im Rana Plaza wurde Kleidung für Benetton, Kik, Mango, C&A, Inditex, JC Penney, NKD, Primark, Walmart und andere produziert. Diese Katastrophe rüttelte die Industrie auf, seitdem wurde eine Vielzahl von Initiativen umgesetzt, um die Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit der Textilarbeiter zu verbessern.

Quelle: Reuters/ Andrew Biraj

Die Modeindustrie beschäftigt ca. 60 Millionen Menschen, knapp die Hälfte davon Upstream in ihrer Lieferkette. In den wichtigsten asiatischen Produktionsländern stellt die Industrie ein Viertel bis ein Drittel der Arbeitsplätze. Mehr als drei Viertel der Textilarbeiterinnen sind Frauen. Es wird klar, dass es bei Nachhaltigkeit um mehr als nur Umweltaspekte geht. Die Modeindustrie ist ein großer Arbeitgeber und hat sich selbst das Ziel gesetzt, Millionen von Frauen aus der Armut zu heben und ihnen eine einträgliche Arbeit zu ermöglichen.

Quelle: Reuters/Samuel Rajkumar

In fast allen der Produktionsländer gibt es staatliche Mindestlöhne. Diese werden in der Realität aber oft nicht eingehalten. In Indien und den Philippinen bekommt die Hälfte der Arbeiter weniger als den Mindestlohn, Frauen werden dabei besonders diskriminiert. In Pakistan erhalten 87% der Frauen und 27% der Männer den Mindestlohn nicht. In Indien erhalten Frauen für den gleichen Job 40% weniger Lohn, in Pakistan sind es fast 50%.

Den Mindestlohn umzusetzen wäre ein Schritt, aber nur ein erster. Denn der Mindestlohn ist in vielen Fällen kein existenzsichernder Lohn („Living Wage“). Dieser würde es ArbeiterInnen erlauben, ihre Bedürfnisse sowie die ihrer Familie zu erfüllen: eine 48 Stunden Woche ohne Überstunden, Essen, Miete, Bildung, Gesundheitskosten, Transport, Angehörige unterstützen, und 10% für weitere Ausgaben. Clean Clothes hat in mehreren Studien gezeigt, dass die staatlich gesetzten Mindestlöhne weniger als halb so hoch sind wie die Living Wages, und das nicht nur in Asien, sondern auch in europäischen Produktionsländern. In Indonesien ist das Living Wage 2x so hoch wie der Mindestlohn, in China, Indien, Kroatien und Serbien 3x, in Kambodscha 4x, in Bangladesch und Bulgarien sogar 5x so hoch. Bei einer Analyse von Produktionsstätten für über 100 Marken (unter ihnen H&M, Zara, Primark, Nike, adidas, Hugo Boss, s.Oliver, Gap, C&A) war in keinem einzigen Fall ein Living Wage erreichbar, nicht einmal mit Überstunden.

Bei den Arbeitsbedingungen sieht es nicht viel besser aus. In China machen die meisten ArbeiterInnen mehr als 100 Überstunden pro Monat, und in Indien, Indonesien und China werden Überstunden oft nur mit regulären Stundensätzen abgerechnet. 40%  der ArbeiterInnen schaffen nur 80% der vorgegebenen Produktionsquoten. Die Modeindustrie hat eine Arbeitsunfallquote von 5,6 pro 100 ArbeiterInnen. Covid-19 hat die Situation in der Lieferkette zusätzlich belastet. Einige Marken bezahlten ihre Bestellungen nicht oder zu spät und stornierten zukünftige Bestellungen. Die Zeche bezahlen oft die ArbeiterInnen.

Die Modemarken könnten ja einfach die Arbeitsbedingungen verändern und faire Löhne zahlen, richtig? Leider ist es in der Realität etwas komplexer, denn die allermeisten Hersteller besitzen die Fabriken nicht sondern arbeiten mit Zulieferern. Sie müssten diese regelmäßig überprüfen und eine Null-Toleranz-Politik im Falle von Verfehlungen etablieren. Viele Hersteller nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Was sie allerdings auch tun müssten ist, mit den Regierungen arbeiten, um staatliche Mindestlöhne sowie Mindeststandards für Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit zu verbessern, was leider viel zu selten der Fall ist.

Die meisten Arbeiter in der Lieferkette der Modeindustrie verdienen zwischen 0,5 und 4% der Verkaufspreise der Produkte, die sie herstellen. Das klingt nicht nur unfair, sondern bedeutet auch, dass dieser Lohn bei der Preissetzung des Produktes kaum ins Gewicht fällt und in vielen Fällen einfach verdoppelt werden könnte. So eine Verdopplung würde sogar bei der ganz üblichen Preiskalkulation der Hersteller nur zu einer geringen Verteuerung des Kleidungsstücks führen, und darüber hinaus ist diese Preiskalkulation künstlich gesetzt und dient zumeist dem Schutz und der Verbesserung von Gewinnmargen.

Quelle: Clean Clothes Campaign
Quelle: GFA/ McKinsey, 2017

Die Arbeiter in der Modeindustrie fair zu bezahlen hätte Auswirkungen auf die Umsätze und Gewinne der Industrie sowie auf den Preis von Produkten für den Konsumenten. Das kann aber nicht als Argument dafür dienen, die Verantwortung für die Menschen in ihrer Lieferkette nicht wahrzunehmen.

Da Bilder und individuelle Geschichten viel stärker wirken als Zahlen und Fakten:

(1) The True Cost (Englisch, 50min) zeigt die Auswirkungen der Fast Fashion Industrie mit sehr eindringlichen Bildern, inklusive der Katastrophe von Rana Plaza und der persönlichen Geschichte der Näherin Shima.

(2) Sweatshops: Deadly Fashion ( als leicht gekürzte deutsche Version, 28min) zeigt die Erfahrungen von drei schwedischen ModebloggerInnen im Jahr 2014 beim Besuch in Kambodscha, wo sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der TextilarbeiterInnen kennenlernen.

(3) Fashion Scapes – Living Wage (Englisch, 15min) erklärt den existenzsichernden Lohn und die Auswirkungen von COVID-19 auf die Industrie.

(4) Fast Fashion – The Shady World of Cheap Clothing (Englisch, 42min) zeigt am Beispiel von Pretty Little Things (Boohoo), dass auch in Europa Mode unter schlechten Bedingungen produziert wird, und sie zeigt die Auswirkungen der Viskoseherstellung auf die Gemeinschaften in Produktionsländern.

(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)

Foto: Fair Wear Foundation