Wenn wir die Auswirkungen der Modeindustrie auf die Natur und die Menschen verstehen wollen, müssen wir uns ihre Wertschöpfungskette anschauen. Dabei wird aus Sicht der Marken und Händler oft der Begriff der Lieferkette verwendet, die alle Schritte vom Rohmaterial hin zum fertigen Produkt beschreibt. Allerdings entstehen viele der Auswirkungen der Modeindustrie nach der Herstellung des finalen Produkts. Wir müssen daher die gesamte Wertschöpfungskette von Anfang bis Ende betrachten: Design & Entwicklung, Rohmaterialien, Verarbeitung, Herstellung, Transport, Handel, Nutzungsphase, Ende der Nutzung.

Quelle: Quantis

Jeder einzelne dieser Schritte hat Auswirkungen auf die Natur (Wasser, Energie, Chemikalien, Müll) sowie soziale  (Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz, die lokale Gemeinschaft) und ethische Auswirkungen (Korruption, Tierwohl, Marketingpraktiken).(2)

Noch bevor es in der eigentlichen Lieferkette losgeht, hat bereits die Design- und Entwicklungsphase der Hersteller einen wichtigen Einfluss, z.B. durch sehr hohe Auswirkungen auf die Wassernutzung, z.B. durch die Materialwahl (z.B. Baumwolle) und Farbwahl (Färbebedarf und -techniken). Ebenso hat sie hohe Auswirkungen auf die Nutzung von Chemikalien (Materialbehandlung, Farbwahl), Müll (Nutzung von Mischfasern und recycelten Materialien, langlebiges Design, Schnitt) und ethische Praktiken (Materialwahl – Tierwohl, Marketingpraktiken, Objektifizierung durch Produktschnitt etc.).

Die Rohmaterialphase hat hohe Auswirkungen auf die Nutzung von Wasser, Energie und Chemikalien (z.B. durch den Anbau natürlicher Materialien, die Verarbeitung fossiler Rohstoffe in z.B. Polyester, die Anwendung von Düngemitteln und Pestiziden) sowie ethische Praktiken (Tierwohl, exzessive Landnutzung und Entfall der Nutzung zum Anbau von Nahrungsmitteln).

In der Verarbeitungsphase stecken relativ gesehen die höchsten Auswirkungen: sehr hoch bei der Nutzung von Energie und Chemikalien (Färben, Faserbehandlung) sowie bei den Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz (auf die wir in Teil 2 noch genauer eingehen werden), hoch bei der Wassernutzung.

In der Herstellungsphase stehen die sehr hohen sozialen Auswirkungen der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes im Vordergrund.

Transport und Handel haben im Vergleich zu den anderen Phasen relativ geringere Auswirkungen.

In der Nutzungsphase entstehen erstaunlich hohe Auswirkungen durch die Nutzung von Energie, Wasser und Chemikalien an (Waschen, Trocknen, Bügeln, Chemische Reinigung), und in der Phase des Nutzungsendes steht das Müllproblem an erster Stelle.

Dass die Modeindustrie ein großer Verursacher von Emissionen ist, hatten wir schon in der Einleitung erwähnt. Vier bis acht Prozent der globale Emissionen stammen aus der Modeindustrie.(5)

Quelle: McKinsey

Diese Emissionen unterteilt man in Scope 1, 2 und 3.

  • Scope 1: Direkte Emissionen des eigenen Geschäfts, also Gebäude, Warenlager, Fahrzeuge.
  • Scope 2: Indirekte Emissionen durch den Einkauf von Strom, Heiz- und Kühlenergie (in Bürogebäuden, Läden, Warenlagern etc.)
  • Scope 3: Indirekte Emissionen, die sich in Upstream („stromaufwärts“ – Einkauf von Produkten und Kapitalgütern, Energie und Treibstoff in der Lieferkette, Transport und Müll in der Lieferkette, Dienstreisen und Arbeitswege der Mitarbeiter) und Downstream („stromabwärts“, also Transport und Verkauf von Produkten, Müllentsorgung, gemietete Gebäude und Fahrzeuge, Franchise-Filialen) aufteilen.

Wenn Marken und Händler davon sprechen, ihre Emissionen zu senken, meinen sie oft die Emissionen in Scope 1 und Scope 2 („Wir kaufen Ökostrom/ nutzen effiziente LED Leuchten/ haben eine PV Anlage auf dem Dach/ haben elektrisch betriebene Lieferwagen.“), also im Bereich ihrer eigenen Geschäftstätigkeit. Allerdings fällt dort nur ein verschwindend geringer Anteil der Emissionen an. Die Musik spielt woanders – ca. 95% der Emissionen fallen in Scope 3 an (davon rund 70% Upstream, 30% Downstream).

Um diesen überwältigenden Anteil der Emissionen der Modeindustrie zu reduzieren, muss man also primär:

  1. Erneuerbare Energien für den Energiebedarf in der Lieferkette ausbauen, die Nutzung von Kohle in der Bekleidungsherstellung (gerade in China und Südostasien) stoppen und durch z.B. Biogas ersetzen, und die Energieeffizienz aller Prozesse massiv verbessern,
  2. Nachhaltige Materialien (z.B. recycelte Fasern) und Praktiken (z.B. regenerative Landwirtschaft im Baumwollanbau) auf breiter Basis anwenden, in die Entwicklung innovativer Materialien mit geringem Impact investieren, und Innovationen in der Materialverarbeitung umsetzen (wo ca. 15% der Emissionen liegen), und
  3. Die Nutzungsdauer von Kleidung erhöhen, Textilmüll verringern, und das Problem der massiven Überproduktion und des Überkonsums angehen.

Aber auch wenn wir diese Emissionen beseitigt haben, bestehen in der Wertschöpfungskette der Modeindustrie weiterhin eine Vielzahl von weiteren Problemen für die Natur und die Menschen, die ebenfalls gelöst werden müssen.

Eines davon sind die sozialen Auswirkungen der Modeindustrie, denen wir uns im zweiten Teil widmen werden.

(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)

Foto: Fair Wear Foundation/ fairwear.org