Vielleicht habt Ihr diese oder eine ähnliche Variante dieser Aussage schon einmal gehört: „Deutschland ist doch schon führend beim Klimaschutz. Warum sollen wir noch mehr tun? Sollen doch die Chinesen, Amerikaner und Inder doch erst mal loslegen.“
Was ist da dran?
Die einfachste Antwort
Deutschland muss klimaneutral werden, weil es sich gemeinsam mit 196 anderen Staaten 2015 beim Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich dazu verpflichtet hat, den globalen Temperaturanstieg auf „deutlich unter 2°C, mit Anstrengungen für eine Beschränkung auf 1,5°C“ zu begrenzen. Das wurde 2016 im Bundestag einstimmig ratifiziert. Etwas Kontext dazu: Wie vorgestern gezeigt, gibt es eine klare Korrelation von CO2 Emissionen und Temperaturanstieg. Daher verbleibt laut aktuellem Bericht des Weltklimarats ein globales „Restbudget“ von 400 Gigatonnen CO2, um mit einer 2/3 Wahrscheinlichkeit den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen. Wenn man eine pro-Kopf-Verteilung ansetzt, bedeutet das für Deutschland ab 2022 ein Restbudget von 3 Gigatonnen. Nach einer Corona-bedingten Reduktion der Emissionen in 2020 (auf 739 Megatonnen) stiegen die Emissionen 2021 stark an auf ca. 786 Megatonnen. Das entspricht tatsächlich einer Reduktion vs. 1990 von ca. 37 Prozent.
Wenn wir da etwas genauer reinschauen, wird allerdings klar, dass die größten Hebel der Emissionereduktionen das Verschwinden der emissionsstarken Industrie und Kraftwerke der DDR waren, die Wirkung des EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) auf Emissionen im Energiesektor, sowie Reduktionen der Emissionen durch effizienteren Gebäudebau und Energieeffizienz der Haushalte. Insbesondere im Bereich Verkehr und Landwirtschaft hat sich nicht viel bewegt.
Das Klimaschutzgesetz und das Bundesverfassungsgericht
Das verbleibende Emissionsrestbudget von 3 Gigatonnen für Deutschland wäre bei einem unveränderten Emissionsniveau Deutschlands in 4 Jahren aufgebraucht. Dann hätte Deutschland nicht nur seine nationalen Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions, die im Rahmen des Pariser Abkommens von allen Staaten regelmäßig bestätigt und aktualisiert werden) nicht eingehalten, sondern hätte auch gegen sein eigenes Klimaschutzgesetz verstoßen. Dieses Klimaschutzgesetz (ursprünglich mit Ziel Klimaneutralität bis 2050 und Reduktion von 55% Emissionen bis 2030 vs. 1990) hatte das Bundesverfassungsgericht im April letzten Jahres für teilweise verfassungswidrig erklärt, denn die Regierung darf drastische Klimaschutzmassnahmen zur Senkung der Treibhausgasemissionen nicht zu Lasten der jungen Generation auf die lange Bank schieben. Daraufhin schärfte die Bundesregierung ihre Ziele nach: Klimaneutralität bis 2045 und Reduktion der Emissionen bis 2030 um 65%.
Der Europäische Green Deal
Die EU hat sich 2019 mit einem „European Green Deal“ verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% vs. 1990 zu senken. Die EU investiert dabei 1,800 Milliarden Euro in den wirtschaftlichen Wiederaufbau im kommenden EU Haushalt, von denen 600 Milliarden direkt in den Klimaschutz fließen. Von diesem Kuchen möchte auch Deutschland profitieren. Allerdings wird die EU auch jährlich kontrollieren, ob die EU Mitgliedsstaaten ihre Ziele einhalten, die sie gemeinsam im Europäischen Rat mit dem EU Parlament und der EU Kommission beschlossen haben. Falls Abweichungen auftreten, kann die Kommission „Empfehlungen“ aussprechen, die die Mitgliedsstaaten umsetzen müssen, falls sie keine eigenen Maßnahmen formulieren, die denselben Effekt haben (Christoph Podewils: „Deutschland unter Strom. Unsere Antwort auf die Klimakrise.“)
Ohne Deutschland geht es nicht
Deutschland ist keineswegs ein „kleiner Player“. Deutschland ist tatsächlich für ca. 2% der globalen CO2 Emissionen verantwortlich, ist aber damit bereits in der Rangliste der Emittenten auf Platz 6 zu finden. Auch im Vergleich zum Bevölkerungsanteil Deutschlands von 1,1% weltweit ist das nicht wenig.
Wenn man sich allerdings die historischen Emissionen anschaut, die seit der industriellen Revolution ausgestoßen wurden, und die sich immer noch in der Erdatmosphäre befinden, befindet sich Deutschland auf Platz 4 (nach den USA, China und Russland) oder in Einberechnung der Emissionen durch Landnutzungsveränderung (z.B. Abholzung) auf Platz 6 (nach USA, China, Russland, Brasilien, Indonesien).
Wenn man sich die Pro-Kopf Emissionen anschaut, ist Deutschland auch weit „vorn“ mit dabei. Die ca. 9-10 Tonnen CO2 Emissionen pro Kopf vergleichen sich mit extrem hohen Emissionen in Golfstaaten, 15-16 Tonnen in den USA, 11 in Russland, aber nur 7 in China, knapp 2 in Indien, und einem globalen Durchschnitt von weniger als 5 Tonnen.
Darüber hinaus haben viele der westlichen Länder emissionsintensive Teile ihrer Wertschöpfungskette in andere Länder verlagert, produzieren z.B. Industrie- und Konsumgüter in China. Daher gibt es tatsächlich Unterschiede zwischen produktions- und konsumbasierten Emissionen. Deutschlands Konsumemissionen sind 15% höher als die Produktionsemissionen, wir haben also Teile unserer Emissionen „exportiert“. In den USA sind Konsumemissionen 7% höher, aber Chinas Konsumemissionen sind 14% niedriger als die Produktionsemissionen. Ja, wenn man fair sein will, muss man auf die Konsumemissionen schauen, weil in anderen Ländern ja auch nur das Produkt produziert wird, was wir hier in Deutschland nutzen oder konsumieren.
Der Druck des Geldes
Eine Wirtschaft ist immer die Summe ihrer Akteure, und die Firmen in der Privatwirtschaft sind oft schon einen ganzen Schritt weiter als die Politik. Viele Firmen haben verstanden, dass die Finanz- und Kapitalmärkte immer stärker auf ESG Kriterien (Environmental, Social, Governance) achten, also auch auf die ökologische Bilanz von Unternehmen und ihrer Produkte. Die amerikanische Investmentgesellschaft BlackRock, die 10 Billionen USD verwaltet, hat über ihren CEO Larry Fink (der hinsichtlich sozialistischer oder altruistischer Tendenzen unverdächtig ist) mehrfach angemahnt, dass Klimaschutz ein zentrales Element der Praktiken aller Unternehmen sein muss, in die BlackRock investiert. Auf der Glasgower Klimakonferenz haben sich 450 der größten Finanzfirmen der Welt dazu bekannt, ihre Portfolios von insgesamt 130 Billionen US Dollar (!!!) bis 2050 in Richtung Klimaneutralität umzuschichten. Auch auf den Kapitalmärkten bewegt sich viel: in 2021 waren insgesamt 3,5 Billionen Euro in nachhaltigen Investmentfonds investiert. Trotz berechtigter Kritik an vielen Kriterien für ESG Investments eine massive Umleitung von Geldströmen in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz.
Der Druck der Öffentlichkeit
Immer mehr Konsumenten wollen nachhaltig produzierte Produkte und Dienstleistungen, ob Lebensmittel, Kleidung, Gebrauchsgüter, Geldanlagen oder bei der Wahl ihrer Verkehrsmittel. Die meisten großen Konzerne der Welt haben sich daher Ziele zur Klimaneutralität gegeben und stehen im Blick der Öffentlichkeit, diese Ziele nun auch umzusetzen.
Was aber tatsächlich am stärksten wirkt ist das Risiko, an den Pranger gestellt zu werden, des Greenwashings bezichtigt zu werden und sich sogar rechtlichen Risiken auszusetzen. Ob Siemens (wegen Lieferung von Signaltechnik für eine Bahnlinie zu einer australischen Kohlemine), RWE (um den Hambacher Forst oder Lüzerath für die Kohle zu opfern), Bayer (wegen Monsanto und Glyphosat), sie alle spüren den Druck der Öffentlichkeit, ihre Geschäftspraktiken auf den Prüfstand zu stellen. An einem einzigen Tag, dem 26. Mai 2021, erlangte der relativ winzige Investmentfond Engine No. 1 zwei Aufsichtsratssitze bei Exxon, stimmte eine Mehrheit der Anteilseigner von Chevron für eine Reduzierung der CO2 Emissionen, und Shell verlor einen Gerichtsprozess gegen Umweltaktivisten und muss nun den CO2 Ausstoß bis 2030 um netto 45% reduzieren. Davon werden wir in Zukunft noch viel mehr sehen.
Einfach sinnvolle Industriepolitik
Deutschland wird oft als führend im Umweltschutz angesehen. Bei genauerem Hinsehen ist das allerdings nicht wirklich der Fall. Gute Ansätze gab es auf jeden Fall. Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) von 1991 wurde nicht nur von ca. 50 Nationen übernommen, sondern führte auch zu einer Innovationswelle im Solar- und Windkraftbereich, von denen heute Produzenten in vielen Ländern der Welt profitieren. Leider hat Deutschland seine Vorreiterstelle aufgegeben und allein im Bereich Photovoltaik nach 2012 rund 80,000 Arbeitsplätze verloren, während in China in der Photovoltaik mehr als eine Million Arbeitskräfte entstanden sind. (Christoph Podewils: „Deutschland unter Strom. Unsere Antwort auf die Klimakrise.“)
In vielen Bereichen zehren wir in Deutschland eher von vergangenen industriellen Errungenschaften. Unter den wertvollsten Unternehmen der Welt befinden sich nur 3 deutsche: SAP auf Platz 72, Siemens auf 86 und Volkswagen auf 94. Die deutsche Automobilindustrie wurde lange Zeit in der Elektromobilität abgehängt und befindet sich jetzt mitten in einer teuren Aufholjagd (oder Überlebenskampf).
Ja, ein dynamischer Umweltschutz und eine mutige Transformation unserer Wirtschaft, insbesondere in den Sektoren Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft kann uns wieder zu einem Technologieführer werden lassen und den Standort Deutschland stärken. Wir können mit Innovationen im Bereich Erneuerbare Energien, Energienetze, Stromspeicher, Mobilität, Gebäude, etc. wieder Weltmarktführer sein. Es würde sogar signifikant Arbeitsplätze schaffen – trotz Verlusten in einigen Sektoren können in Europa bis 2030 netto 2,2 Millionen, bis 2050 sogar 4,9 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, davon jeweils rund 25% in Deutschland.
Ja, ein starker Klimaschutz würde eine starke Vorbildwirkung für andere haben. Alle Länder müssen gemeinsam agieren, um das Pariser Abkommen einzuhalten. Kein Land hat die Möglichkeit und Mittel, nicht nur seinen eigenen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten, sondern auch noch die Arbeit für Deutschland zu übernehmen. Und warum sollten sie? Wenn wir als reiche Industrienation es nicht tun, mit unserem Wohlstand, der zum großen Teil auf emissionsintensiven Energien und Industrien basiert, welches Signal setzen wir damit? Unser neuer Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat in seiner Pressekonferenz zur Eröffnungsbilanz zum Umweltschutz die unten stehende Grafik gezeigt, die den Pfad für Deutschland bis 2030 und 2045 darstellt. Es ist eine deutliche und mutige Ansage Richtung Klimaschutz (sehen wir mal darüber hinweg, dass der gezeigte Pfad für Deutschlands Beitrag zum Erreichen des Pariser 1,5 Grad Ziels bei weitem nicht ausreicht).
Quelle/ zur Vertiefung: Klimafakten.de
Foto: Norbert Braun auf Unsplash
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