Was ist los in diesem Sommer?

Parallele Extremwetterereignisse – Hitzewellen auf dem Land und im Wasser, Sturzregen und Hagel, Überschwemmungen. Sogar Klimaforscher, die seit Jahrzehnten vor solchen Ereignissen warnen, benutzen angesichts der Ereignisse Begriffe wie „sehr ungewöhnlich“, „besorgniserregend“ oder „verrückt“. Nach „Der Klimawandel ist nicht real.“ und „Der Klimawandel ist nicht menschengemacht.“ Sind wir nun in der Phase von „Oops“ und „F*$k“ angekommen.

Quelle: semi_rad

Auch wenn man angesichts eher nasser Sommertage in Deutschland einen anderen Eindruck gewinnen konnte, war der Monat Juli 2023 weltweit der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, um ganze 0,33 Grad Celsius heißer als im bisherigen Rekordjahr 2019.

Quelle: Copernicus ECMWF

Am 3. Juli überschreiten die globalen Durchschnittstemperaturen die 17 Grad Celsius, zum ersten Mal seit Aufzeichnungsbeginn. In den folgenden 34 Tagen wird diese Marke gleich weitere 31 Mal überschritten.

Quelle: Climate Reanalyzer

Überall purzeln die Temperaturrekorde. Valencia 47 Grad (über 3 Grad mehr als der bisherige Rekord), Sizilien 48 Grad, Sardinien 48 Grad. In Griechenland wird bei 44 Grad die Akropolis tagsüber geschlossen. In Frankreich verzeichnen 106 Wetterstationen über 40 Grad. Ende August.

In Sanbao mit über 52 Grad die heißeste jemals gemessene Temperatur in China. Ebenso fallen die 50-Grad-Marken in Gegenden, die damit in den Nachrichten selten auftauchten: im Iran, auf der arabischen Halbinsel, in Pakistan, Marokko, der Türkei.

Im Death Valley Touristenselfies vor der bis zu 56 Grad zeigenden Temperaturtafel, als wenn Dinosaurier Selfies vor dem herannahenden Asteroiden machen würden.

In Phoenix werden im Juli jeden Tag mindestens 43 Grad gemessen, einige Tage sogar 48 Grad. Ich kann mich an meine eigene Studienzeit in Phoenix erinnern. Wenn man sich dort bei 37 Grad draußen aufhielt, fühlte es sich an, als würde einem jemand mit einem Föhn heiße Luft ins Gesicht blasen. Noch mal sechs Grad mehr kann ich mir kaum vorstellen.

Auch in Südamerika Rekordtemperaturen. 45 Grad in Bolivien, 42 Grad in Paraguay, im Winter! Zwanzig Grad mehr als sonst zu dieser Jahreszeit üblich.

Quelle: @extremetemps

Auch für Meere und Ozeane werden Rekordtemperaturen gemeldet. Der Nordatlantik überschreitet zum ersten Mal die Temperatur von 25 Grad, 6 Grad zu viel vor Neufundland. Im Mittelmeer 28,7 Grad, auch hier 5 Grad zu viel. Und vor Miamis Küste werden in anderthalb Meter Tiefe ganze 38,4 Grad erreicht. Welche Auswirkungen so ein heißes Bad auf Flora und Fauna haben, kann man sich denken.

In der Antarktis findet ein so extremes Ereignis statt, wie es statistisch nur alle 7,5 Millionen Jahre auftreten solle. Im Vergleich zur sonst jahreszeitlich üblichen Eisfläche fehlen 2 Millionen Quadratkilometer Eis, sechs Mal so viel wie die Landfläche Deutschlands.

Quelle: Sea Ice Charts

Für Klimaforscher Johan Rockström sind alle diese Ereignisse nicht überraschend. Es trete ein, was lange vorhergesagt wurde, auch „wenn es etwas stärker und schneller kommt, als wir berechnet hatten.“

Die Hauptursache für diese Ereignisse sind wir selbst. Mit dem Verbrennen fossiler Brennstoffe wurde die unvorstellbare Menge an 380 Zettajoule an zusätzlicher Energie in die Atmosphäre freigesetzt, die bis dato tief im Boden in Kohle, Öl und Gas gebunden war.

380.000.000.000.000.000.000.000 Joule. Das entspricht der Energie von 1,4 Millionen Hiroshima Atombomben, jeden einzelnen Tag, für ein ganzes Jahr.

90 Prozent dieser Energie wurde von den Ozeanen aufgenommen und sorgt nun dafür, dass bisher seltene Extremwetterereignisse häufiger und mit mehr Wucht auftreten. So wie in Slowenien, wo zwei Drittel des Landes von Überflutungen betroffen sind, wo Menschenleben und Wohlstand vernichtetet werden.

Oder wie in Kanada, wo die Klimaerhitzung so verheerende Brände wie diesen Sommer doppelt so wahrscheinlich macht.

Klimawissenschaftlerin Katharine Heyhoe sagt dazu: „Ich bin noch besorgter und noch motivierter, alles zu tun, was ich kann, um den Menschen zu helfen, die tiefgreifenden Risiken zu verstehen, die der Klimawandel für sie mit sich bringt, und wie jeder von uns ein starker Befürworter von Klimaschutzmaßnahmen sein kann.“

Gilt das auch für Politik und Wirtschaft?

Ausgerechnet am 6. Juli, dem Tag, an dem ein weltweiter Temperaturrekord aufgestellt wurde, gibt der CEO von Shell Wael Sawan, ein der BBC ein Interview. Während sich Shell weiterhin für den Kampf gegen den Klimawandel engagiere, wäre eine Kürzung der Produktion fossiler Brennstoffe tatsächlich „gefährlich und unverantwortlich“, da dies dazu führen könnte, dass die „Lebenshaltungskosten“ „in die Höhe schnellen“.

Im selben Sommer können sich die G20 Staaten, die für 80% der Emissionen verantwortlich sind, nicht auf gemeinsame Maßnahmen wie die Verdreifachung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, Peak Emissions bis 2025 oder eine weltweite CO2 Steuer einigen.

In der EU wird das von 3.000 Wissenschaftlern und zahlreichen Konzernen unterstützte EU Renaturierungsgesetz zum Naturschutz fast von der von Manfred Weber (CDU/ CSU) geführten EVP-Fraktion im Europaparlament verhindert.

Und der selbsternannte „Klimakanzler“ Olaf Scholz plädiert dafür, „auch mal Fünfe grade sein“ zu lassen „und gleichzeitig ambitioniert die Klimaziele verfolgt.“ Wie das zusammenkommen soll, lässt er offen.

Die Mehrheit der Deutschen will etwas anderes.

57% halten Klimaschutz für eines der drängendsten politischen Probleme (fordern aber eine sozialverträgliche Umsetzung), so die Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland“ des Umweltbundesamts. Auch im ARD Deutschlandtrend werden Umweltschutz und Klimawandel als das wichtigste Problem benannt.

Quelle: infratest dimap

Und angesichts der lauten Stimmen einer Minderheit von Klimaschutzgegnern vielleicht am wichtigsten: die Unterstützung für Klimaschutzmassnahmen in der Gesellschaft wird deutlich unterschätzt. 59% der Deutschen sind für Windkraftanlagen im Wohnumfeld, 73% für Photovoltaik-Freiflächen im Wohnumfeld, 60% für ein Tempolimit 120. Mehr als zwei Drittel stimmen der Energiewende zu.

Quelle: Soziales Nachhaltigkeitsbarometer / mdr

Ein drängendes Problem mit extremen Auswirkungen.

Eine Mehrheit der Gesellschaft, die Maßnahmen befürworten, um das Problem zu adressieren.

Politik und Wirtschaft, die zu wenig tun.

Der Klimaforscher Michael Mann sagt dazu: „Anstatt uns vor dieser Konsequenz der vom Menschen verursachten Erwärmung zu fürchten, sollten wir zum Handeln motiviert sein – insbesondere dazu, Politiker an der Wahlurne zur Rechenschaft zu ziehen. Erst wenn wir den CO2-Ausstoß auf Null senken, hört die Erwärmung auf.“

Foto: Bernhard Mühr/ CEDIM-KIT