Ein Blog zur Klimakrise

Mann am Fenster

Meine kleine Energiekrise

Ich will ehrlich sein: die letzten Monate waren unfassbar anstrengend. Ich erlebte meine eigene, ganz persönliche Energiekrise.

Nach zwei Jahrzehnten im Konzern stellte ich im Februar letzten Jahres alles auf neu.

Es war eine lange gereifte, bewusste Entscheidung, die beste, die ich für mich hätte treffen können. Dieser Aufbruch zu etwas Neuem war eine intensive Erfahrung: eine neue Industrie, ein neues Umfeld, ein neues Team, neue Themen, und die dramatisch schnelle grüne Transformation in der Firma. Es war bereichernd und gleichzeitig unberechenbar, forderte mir viel ab.

Dazu kam dieses Projekt hier. Aus einer kleinen WhatsApp-Gruppe mit Faktenhäppchen erwuchs unerwartet schnell dieser Blog, ein kreatives Herzensprojekt mit unerwarteter Resonanz. Der hohe Anspruch an das Projekt forderte viel Zeit und mentale Energie. Immer dabei: das Gefühl, dem Thema nicht gerecht werden zu können. Der Komplexität der klimatischen und ökologischen Krise nicht gewachsen zu sein. Die Vielzahl der Themen nicht ausreichend gut verstehen zu können. Die Zusammenhänge nicht verständlich darstellen zu können. Die Möglichkeiten für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft nicht skizzieren zu können. Nicht verständlich und anschaulich schreiben zu können. Auch das forderte mir viel ab.

Erschwerend kommt dazu, dass dem Thema jegliche Leichtigkeit abgeht. Wer möchte sich in einem Jahr, das geprägt war von einem Krieg vor unserer Haustür, einer Energiekrise, und Rekordinflation, noch mit einer eskalierenden Klimakrise beschäftigen? In diesem Kontext über die klimatischen, ökologischen und sozialen Krisen unserer Zeit zu sprechen ist ein Drahtseilakt. Wer das tut, löst hitzige Debatten aus. So manches Dinner mit Familie und Freunden nahm einen etwas unangenehmen Verlauf. Die Devise heißt dann: zurückhalten, Predigen vermeiden, Empathie zeigen, auf die anderen zugehen, ihnen zuhören und ihre Sorgen ernstnehmen, einen relevanten Zugang finden zu dem, was ihnen wichtig ist. Und da Fakten gegen gewachsene Überzeugungen und Glaubenssätze oft keine Wirkung erzielen, muss am besten all das in Form eines emotional packenden Narrativs geliefert werden. Das dafür erforderliche Maß an Kreativität, Geduld und Gelassenheit ist mir nicht natürlich gegeben.

Auch findet allzu oft eine offene Debatte erst gar nicht statt. Auf Sozialen Medien und Plattformen wie Twitter tobt ein absurd anmutender Kampf gegen die Realität. Wer sich zum Thema positioniert, ob Klimaforscher, Politiker oder Klimaaktivist, sieht sich konfrontiert mit einer Mauer aus Verleugnung, Ablenkung und persönlichen Attacken.

„Hör einfach auf zu atmen, das spart CO2.“

„Völlig irrationale Panikmache ohne Sinn, mit NICHTS zu belegen. #Klimaalarmisten“

„Die Corona-Diktatur neigt sich dem Ende zu, also wird ein neues Schwein durchs Dorf getrieben. #Klimalockdown“

„Ach ein Klima-Dingens. Nicht ernst nehmen. Die halten täglich grüne Messen und zweimal im Jahr Konzil. Und täglich wird in Berlin die Grün-Leichnams-Prozession mit anschließendem Rudel-Kleben veranstaltet.“

Quelle: taz

Es gibt nicht die eine Wahrheit. Die individuelle Wahrheit ist ein Konstrukt aus Überzeugungen, individueller Perspektive und persönlichen Prioritäten. Zu einer offenen Debatte und dem konstruktiven Austausch von Argumenten gehört Neugier, Offenheit und Respekt. Auch würde man für alle Parteien in einer Debatte erwarten, Argumente mit Fakten und Daten zu belegen. Das ist in der Diskussion zur Klimakrise allerdings selten der Fall. Der Aufwand, völliger Faktenfreiheit mit sachlichen Argumenten zu begegnen ist extrem einseitig. Sich trotzdem aus der Deckung zu wagen und solchen Situationen zu stellen, erfordert Mut und Energie.

Dabei gab das letzte Jahr jede Menge Anlass zur Sorge. Ausgetrocknete Flüsse, Hitzewellen mit 40 Grad in ganz Europa, Dürren und Hungersnöte in Ostafrika, Rekordniederschläge in Pakistan, die ein Drittel des Landes unter Wasser setzten und 33 Millionen Menschen ihr Dach über dem Kopf nahmen, und das wärmste Silvester seit Beginn der Messungen in Skigebieten. Extremwetterereignisse  Symptome der Klimaerhitzung häufen sich: jedes Jahr ein Jahrhundertereignis.

Und leider sind noch zu wenige Verbesserungen in Sicht. Die Kohlendioxidemissionen steigen weiterhin. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) ließ verlauten, dass es „keinen glaubwürdigen Pfad zum 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens“ gebe. Auch die Weltklimakonferenz COP27 enttäuschte weitestgehend.

2022 war ein schwieriges Jahr für den Klimaschutz. Angesichts der Energiekrise wurden für die Energiesicherheit notwendige Maßnahmen getroffen, die uns aber auch für Jahrzehnte an Lieferverträge für LNG Gas binden werden. Und wir bauen viel mehr teure LNG Terminals als wir benötigen, zu deutlich höheren Kosten als geplant. Gleichzeitig blieb die große Mobilisierung für die erneuerbaren Energien bislang weitestgehend aus.

Die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Auswirkungen der Inflation folgten dem Prinzip Gießkanne: Tankrabatte, Gaspreisdeckel. Es gab eine gewisse Entlastung für Geringverdiener, aber noch viel stärker profitierten Gutverdiener, und Mineralölkonzerne machten aufgrund des Preisschocks Rekordgewinne. Auch wird Energiesparen so nicht belohnt.

Das 9 Euro Ticket kostete weniger als der Tankrabatt und zeigte, dass die Bereitschaft zu einem Neudenken der eigenen Mobilität vorhanden ist. Es wurde nicht verlängert. Stattdessen gibt es ein für viele unerschwingliches 49 Euro Ticket.

Das von einer breiten Mehrheit unterstützte Tempolimit blockieren die Autofans im Verkehrsministerium noch immer mit erstaunlicher Entschlossenheit. Dabei würde es ausschließlich positive Effekte mit sich bringen und nichts kosten.

Stattdessen wurde das Recht zum Schnellfahren zum Symbol für die Freiheit des Einzelnen. Und diese Freiheit gibt es für sie nur dann, wenn sie jederzeit tun und lassen können, was sie wollen. Egal was das Miteinander in einer Gesellschaft erfordert. Egal was andere wollen, auch wenn die anderen die Mehrheit der Bevölkerung darstellen. Eine Mehrheit will das Tempolimit. Eine Mehrheit will mehr Klimaschutz. Egal. Selbstverantwortung statt Freiheitseinschränkungen. Diese Selbstverantwortung führte allerdings nicht dazu, dass zu Zeiten der höchsten Spritpreise langsamer gefahren wurde.

Ganz besonders bekamen die Aktivisten der Letzten Generation die Wut derjenigen zu spüren, die sich in ihren persönlichen Freiheiten bedroht sehen. Zu radikal ihre Forderungen, gleichzeitig zu banal – Tempolimit und 9 Euro Ticket als Minimalforderungen würden ja nichts bringen. Zu verwöhnt die jungen Leute, zu privilegiert, da sie ja offensichtlich nichts sinnvolles tun würden. Zu bürgerlich. Zu angepasst. Zu konform mit der Linie der linksgrün versifften Ökodiktatur der Bundesregierung. Zu extrem in ihren Aktionen. Falsche Aktionsform. Falsches Timing, falsche Orte des Protests.

Schnell stand der Begriff des Terrorismus im Raum. Die Mitglieder der Letzten Generation wurden kriminalisiert, Wohnungen durchsucht, in Präventionshaft gesteckt. Rufe nach härteren Strafen wurden laut.

Quelle: Twitter

Im Vergleich zur Bedrohung der sogenannten Klimaterroristen wurde sogar der Putschversuch bewaffneter Reichsbürger  als amüsante Idee eine Gruppe verwirrter Greise bagatellisiert.

Quelle: Twitter
Quelle: Welt.de

Man kann sich über die Aktionsformen der Letzten Generation durchaus streiten. Aber ist das Anliegen der „Ökoterroristen“ radikal, gesetzlich verankerte Klimaziele einzuhalten? Oder liegt die Radikalität im Handeln derjenigen, die mit „Weiter so!“ die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zerstören?

All das raubt mir Energie.

All das lässt mich daran zweifeln, ob wir verstehen, was wichtig ist, was wir zu tun haben.

Ich war noch nie so müde am Ende eines Jahres.

Und mit der Ruhe über die Feiertage kam die Gelegenheit, auch über die positiven Meldungen des Jahres zu reflektieren. Bei der Weltnaturkonferenz in Montreal gab es einen hart errungenen Durchbruch – bis 2030 sollen 30% der Landfläche und 30% der Meere unter Schutz gestellt werden.

Neue Regierungen in Australien und Brasilien setzen neue Prioritäten auf den Schutz des Klimas und des Regenwalds im Amazonas. In den USA wurden mit dem Inflation Reduction Act die ambitionierte Klimaschutzinvestitionen verabschiedet, was in Europa die Diskussion um eine adäquate Antwort entfacht. Ein ehrgeizigerer EU-Emissionshandel ist auf dem Weg. Und erstmals flossen mehr Investitionen in grüne Energien als in fossile Projekte, über eine Billion Dollar.

Der Zubau von Erneuerbaren Energien dominiert die neu geschaffenen Kapazitäten weltweit.

Quelle: BloombergNEF

Und so fällt das Fazit des letzten Jahres dann doch etwas positiver aus. Die Energiepolitikexpertin Leah Stokes formulierte es so: „Wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, könnten wir feststellen, dass 2022 ein Wendepunkt für globalen Klimaschutz war.“

Lasst uns beweisen, dass sie recht hat.

Foto: Sasha Freemind auf Unsplash

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  1. Lieber René, ich glaube, müde sind wir alle … Wie viel mehr musst Du es sein, der Du soviel aktive Arbeit in die Schärfung des allgemeinen Bewusstseins für die Klimakatastrophe steckst. Ich danke Dir für den hoffnungsvollen Schluss Deines Beitrages!

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