„Man darf seine Meinung nicht mehr öffentlich äußern!“ hört man ironischerweise in TV Talkrunden. „Die grüne Ökodiktatur will uns durch Verbote zum Verzicht zwingen!“ dient als Argument zur Ablehnung jeder auch noch so kleinen Maßnahme, um die Klimakrise zu bekämpfen. Stattdessen lautes Fordern der Freiheit zum „Weiter so!“ Diese Interpretation von Freiheit finde ich befremdlich. Denn genau dieses „Weiter so!“ wird dazu führen, die Freiheitsgrade unseres zukünftigen Lebens einzuschränken, für uns, unsere Kinder und deren Kinder.

Gerade heute, am Tag der Deutschen Einheit, macht es Sinn, über den Wert der Freiheit nachzudenken. Den unten stehenden Artikel habe ich vor 2 Jahren zum 30jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung geschrieben, im ersten Jahr der Pandemie. Angesichts von Krieg in Europa, Energiekrise und Klimakrise, ist er heute noch so relevant wie damals.

Quelle: Bundesregierung/ Reineke

Freiheit

Jedes Jahr am 3. Oktober klingelt mein Telefon. Mein bester Freund ruft mich an, gratuliert mir zu Wiedervereinigung und heißt mich herzlich willkommen in der Bundesrepublik. Es ist ein kleiner Spaß, den ich sehr schätze, denn ohne diesen Tag gäbe es diese Freundschaft nicht, und mein Leben wäre ein völlig anderes.  

 Die ersten 13 Jahre meines Lebens wuchs ich in der DDR auf, in einem kleinen Dorf in der Oberlausitz, in Sichtweite der polnischen Grenze. Dort erfuhr ich Liebe und Unterstützung durch meine Familie, Lehrer und die dörfliche Gemeinschaft. Was ich in dieser Zeit allerdings nicht erfahren durfte war etwas, das ich erst im wiedervereinten Deutschland zum ersten Mal spürte. Etwas, das man oft erst wahrnimmt, wenn es einem genommen wird.  

Freiheit. 

Wir alle erleben Freiheit der eigenen Meinung und des Wortes. 

Seine eigene Meinung ohne Furcht vor Repressalien ausdrücken zu können ist ein wertvolles Grundrecht. Wir können jederzeit für unsere Vorstellungen und Werte auf die Straße gehen. Wir haben das Recht zu widersprechen. Wir können Bücher schreiben und veröffentlichen. Wir dürfen unsere Meinung in Medien kundtun. Für nichts davon müssen wir befürchten, vom eigenen Staat heimlich überwacht oder gar bestraft zu werden. 

Wir erleben Freiheit im eigenen Wertesystem. 

Egal, welcher Art unsere persönlichen Werte, unsere sexuelle Orientierung, unsere Spiritualität oder Religion sind, wir können unser Leben frei führen, solange wir jedem anderen Menschen die gleichen Rechte einräumen.   

Wir sind frei in politischem und gesellschaftlichem Engagement, um unsere Gesellschaft mitzugestalten, Veränderungen einzufordern, Themen voranzutreiben. Wir haben die persönliche Freiheit zu entscheiden, ob wir dem Land mit der Waffe dienen wollen oder nicht. All diese Entscheidungen können wir treffen ohne dass uns ein Staat ideologisch vereinnahmt und uns vorschreibt, wie wir Dinge zu sehen haben. 

Wir erleben Freiheit in der eigenen Entwicklung 

Ich bin mir bewusst, dass nicht jeder die gleichen Startvoraussetzungen hat und dass Chancen ungleich verteilt sind. Grundsätzlich aber können wir unsere Ausbildung oder unser Studium frei wählen, ebenso unseren Lebensmittelpunkt. Jeder kann seinen eigenen Lebenstraum verfolgen, beruflich wie privat. Wir sind prinzipiell frei in unserer Berufswahl, können führen, folgen oder unabhängig sein, Unternehmen gründen. Wenn wir die finanziellen Möglichkeiten haben können wir reisen wohin wir möchten, mit einem Reisepass, der überall auf der Welt respektiert wird. Wir können unseren Horizont erweitern und Freundschaften in der ganzen Welt pflegen. 

Die Wiedervereinigung hat komplett neue Weichen für mein Leben gestellt und mir ermöglicht, selbstbestimmt zu leben. Sie hat mir Türen geöffnet, die vorher verschlossen waren. Ich konnte meine Universität wählen, im Ausland studieren und meine Leidenschaft zum Sport zu meinem Beruf machen. Sie hat mir das Privileg ermöglicht, Führungsverantwortung in einer Industrie zu übernehmen, die auf vielfältige Art und Weise das Leben von Menschen positiv beeinflussen kann. 

Nur durch die Wiedervereinigung konnte ich meine Frau kennenlernen, die aus dem anderen Teil Deutschlands stammt. In ihrer Familie habe ich ein zweites Zuhause gefunden, das neugierig und weltoffen ist. Wir haben eine eigene Familie gegründet, die uns Glück und Zufriedenheit schenkt.  

Es war nicht alles schlecht in der DDR. 

Es ist nicht alles perfekt im vereinten Deutschland. 

Aber um nichts in der Welt würde ich meine Freiheit wieder hergeben. 

Nur aufgrund der Wiedervereinigung erlebe ich heute, wie meine Kinder in einem Land aufwachsen, wo sie alle Möglichkeiten haben, sich zu selbstbewussten und mündigen Bürgern zu entwickeln.  

Wo Mangel nicht Alltag ist, sondern nur zu Zeiten einer globalen Pandemie vorübergehend spürbar wird. 

Wo sie sagen können was sie wollen zu wem sie wollen, ohne ihre Worte sorgfältig abwägen zu müssen. 

Wo sie nicht ideologisch geimpft werden mit Fahnenappellen und Staatsbürgerkundeunterricht. 

Wo sie sich differenziert mit der Geschichte Deutschlands auseinandersetzen, der gesamten Geschichte, inklusive ihrer dunkelsten Kapitel. 

Wo sie in der Schule keine Panzer und Soldaten malen und im Wehrunterricht keine Waffen abfeuern müssen. 

Wo sie studieren können ohne drei Jahre Militärdienst abgeleistet zu haben und frei sind in ihrer Berufswahl. 

Der 30. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands ist eine Gelegenheit für uns alle, uns unserer Verantwortung bewusst zu werden, diese Freiheiten und unsere demokratischen Werte und Grundrechte zu schützen. Es bedarf nur eines Blicks auf einige andere Länder in Europa oder jenseits des Atlantiks, wo politische Macht mehr und mehr von Autokraten gebündelt wird, um die Verletzlichkeit all dessen zu erkennen, was wir als stabil und selbstverständlich ansehen. 

Lasst uns vom Recht unserer Meinungsfreiheit wieder stärker Gebrauch machen und Diskurs führen, auch wenn er sich schwierig gestaltet. Meinungsfreiheit ist eben auch die Meinungsfreiheit der anderen. Die unverhältnismäßige Lautstärke einiger Stimmen in der Gesellschaft macht mir Sorgen. Wer schon in Ablehnung kleiner persönlicher Opfer zur Bewältigung einer Pandemie von einer Diktatur der Regierung tönt weiß nicht, wovon er spricht. Ganz besonders dann, wenn er diese Meinung ja gerade öffentlich, auf Straßen oder in sozialen und öffentlichen Medien kundtun darf.  

Nur gemeinsam können wir die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigen: den Kampf gegen die Pandemie, die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten, das Neuerfinden unseres Bildungssystems, sowie die notwendige Transformation unseres wirtschaftlichen Systems, um unseren Planeten als unsere gemeinsame Lebensgrundlage zu schützen. Die Menschen in unserem geeinten Land haben schon oft ihre schöpferische Kraft bewiesen.  

Wir haben es in der Hand, die Zukunft unseres Landes zu gestalten. Wir müssen es nur gemeinsam anpacken.

Veröffentlicht am 3.10.2022 auf LinkedIn.

Foto: akg-images / picture-alliance / dpa