Die gigantische Maschine der Modeindustrie spuckt jedes Jahr über 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr aus – 62 Millionen Tonnen Textilien. Ihr lineares System, bei dem nur 0,1% der getragenen Kleidungsstücke zu neuer Kleidung recycelt wird, führt unweigerlich zu Unmengen an Müll, eine LKW-Ladung pro Sekunde.

Dem gegenüber stehen die Ambitionen der Industrie zu weiterem Wachstum. Noch 2019 wurde ein jährliches Wachstum von 5% bis 2030 projiziert, was dann zu einem Umsatzplus von 80% in 2030 verglichen mit 2018 führen würde. Einiges davon könnten Preiseffekte sein, aber aufgrund der Dominanz von niedrigpreisiger Fast Fashion wäre ein solches Wachstum ohne signifikantes Volumenwachstum nicht zu schaffen. Corona hat die Industrie brutal gebremst, aber die Ambitionen sind zurück, fast auf einem Vor-Corona-Niveau: von heute bis 2030 soll die Industrie um ein Drittel wachsen.

Die Hersteller positionieren sich recht eindeutig.

Im Fast Fashion Bereich ist man ambitioniert.

H&M: „Wir wachsen unser Geschäft auf verantwortungsvolle und robuste Weise, um für positive Auswirkungen auf die Welt um uns und langfristigen Wert mit finanziellem Wachstum und Profitabilität zu sorgen.“

Inditex (Zara): „Wir planen die Umsetzung strategischer Initiativen, um unser integriertes Modell von Läden und Onlinegeschäft zu stärken und unser organisches Wachstum zu maximieren.“

ABF (Primark): „Primark wird nächstes Jahr Umsatz und Margen signifikant zu wachsen. … Primark sieht zusätzliches Wachstumspotential in allen existierenden sowie in neuen Märkten.“

Fast Retailing (Uniqlo): „Wir sind entschlossener denn je, unsere globale Entwicklung voranzutreiben und das Wachstum zu beschleunigen. Wir zielen darauf, die Nummer 1 Marke weltweit zu werden.“

Boohoo: „Wir sind äußerst zuversichtlich in die Wachstumsaussichten der Gruppe. … Wir haben signifikant in unsere Infrastruktur investiert, in Vorbereitung auf eine Rückkehr zu höheren Wachstumsraten in unserem Geschäft weltweit.“

Sogar das schwächelnde C&A ist optimistisch: „… Damit schafft C&A die Grundlage für künftiges Wachstum in Umsatz und Profitabilität.“

Verfolgt das Premiumsegment andere Prioritäten?

Dior (LVMH): „Christian Dior Couture strebt an, das starke Wachstum in allen Märkten fortzuführen.“

Gucci (Kering): „Nachhaltige Führung durch Umsatzwachstum von 10 auf 15 Milliarden Euro.“

Yves Saint Laurent (Kering): „Den Umsatz von 2.5 auf 5 Milliarden verdoppeln. … Konsistent neue Höchststände bei Umsatz und Profitabilität liefern.“

Ralph Lauren: „Für 2023 erwartet die Firma ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum im hohen einstelligen Bereich.“

Wie sieht es die Sportartikelindustrie?

Nike: „Nike ist eine Wachstumsfirma. … Unsere konsumentenorientierte digitale Transformation wird ein Treiber für ein langfristig nachhaltiges, profitables Wachstum sein.“

adidas: „Mit unserer neuen Strategie peilen wir für 2021-2025 ein jährliches durchschnittliches Umsatzwachstum von 8-10% an. … Wachstum über Marktwachstum und Gewinn von Marktanteilen global und in allen strategischen Märkten.“

On Running: „Wir glauben, wir sind eine der am schnellsten wachsenden großen Sportfirmen der Welt.“

Anta aus China gibt sich kämpferisch: „Bis 2030 streben wir die globale Führung an.“

Allbirds (jung, hungrig, mit starker Betonung auf ihrem Nachhaltigkeitsfokus): „Wir glaube, dass unsere Innovationskraft … sowie die zunehmende internationale Präsenz auch 2022 zu einer Beschleunigung des Umsatzwachstums führen werden.“

Die Outdoorindustrie sollte doch eine intrinsische Motivation für eine gesunde Natur haben:

The North Face (VF): „Angetrieben von unsem unermüdlichen Einsatz für nachhaltiges, langfristiges Wachstum.“

Columbia: „Ich bin optimistisch, dass wir die vor uns liegenden greifbaren Wachstumschancen realisieren können.“

Mammut (das kurz nach Verkünden von sehr ambitionierten Nachhaltigkeitszielen den CEO auswechselte): „Sein Fokus wird darauf liegen, die ikonische Bergsportmarke Mammut weiter auszubauen und das globale Wachstum voranzutreiben.“

Darin liegt das Dilemma der Industrie.

In ehrlichen und offenen Gesprächen mit Experten und Führungskräften aus der Industrie wird anerkannt, dass das Kernproblem der Modeindustrie ihr gigantisches Produktionsvolumen ist. Es wird eingestanden, dass die Industrie bereits heute in vielerlei Hinsicht dazu beiträgt, planetare Grenzen zu sprengen, ob bei Emissionen, Landnutzung, Ressourcen-, Energie- und Wasserverbrauch, oder Luft- und Wasserverschmutzung. Die Hoffnung liegt auf besseren Materialien, neuen Recyclingtechnologien, Emissionsvermeidung in der Lieferkette. Zirkuläre Geschäftsmodelle sollen für mehr Nachhaltigkeit sorgen, aber die Hersteller projizieren diese fast immer als zusätzliche, inkrementelle Umsatzchancen, ohne dabei ihr Kerngeschäft aufgeben zu wollen.

Wann immer Hebel zur Dekarbonisierung der Modeindustrie diskutiert werden, wird das Problem der Überproduktion angesprochen, allerdings aus einem bestimmten Blickwinkel. Vierzig Prozent aller Kleidungsstücke wird mit Rabatt verkauft, daher ruht die Hoffnung auf Technologien zu besseren Nachfrageprognosen, Produktionsplanung und Lagerverwaltung. Das würde den Herstellern nicht nur helfen Kosten zu sparen und Margen zu verbessern, sondern würde auch den Fußabdruck der Industrie senken.

Der bei weitem größere Hebel wäre allerdings die massive Reduktion des Produktionsvolumens der Industrie.

Das ist der wahre Elefant im Raum.

Die Industrie muss schrumpfen, aber keine Marke hebt dafür freiwillig die Hand. Das wäre das Ende ambitionierter Konzernlenker, deren Aktionäre gesunde Renditen auf ihre Investitionen erwarten. Sogar die sehr nachhaltig orientierten Marken in der Industrie wollen aggressiv wachsen, denn so können sie ihre Wirkung vergrößern: nachhaltige Produkte ersetzen schlechtere Alternativen. Diese Logik leuchtet zwar ein, macht nur dann Sinn, wenn ein nachhaltig orientiertes Produkt zwei, drei, oder noch mehr nicht nachhaltige Produkte ersetzt. In anderen Worten, wenn ein nachhaltiger Player gewinnt, müssen mehrere nicht nachhaltige Player verlieren. Und niemand will dieser Verlierer sein.

Gibt es Ausnahmen? Gibt es Firmen, die sich ernsthaft mit dem Thema Wachstum auseinandersetzen, oder sogar darauf verzichten?Es gibt sie, einige wenige. Sie haben alle eins gemeinsam: sie sind unglaublich konsequent, zumeist sehr klein, und genießen den Luxus, sich im Besitz visionärer Eigner zu befinden.

Patagonia, die darunter mit Abstand größte Firma, will nicht mehr wachsen. CEO Ryan Gellert sagt dazu: „Größer zu sein bedeutet nicht zwangsläufig effektiver zu sein. … Wachstum ist derzeit kein Ziel mehr.“ Die Firma diversifiziert stattdessen lieber in neue Felder wie die regenerative Landwirtschaft.

Houdini Sportswear aus Schweden, ein kleiner Anbieter hochwertiger und langlebiger Outdoorprodukte, will die Menschen wieder in Verbindung mit der Natur bringen und damit gesünder und glücklicher leben lassen: „Die konventionelle Art, Waren zu verkaufen und zu konsumieren, hat Geschäftsmodelle und Verhaltensweisen geschaffen, die nicht nachhaltig und oft unattraktiv sind. Wie können wir unsere Geschäftstätigkeit transformieren, um letztendlich einen Beitrag zum Planeten zu leisten anstatt von ihm zu nehmen.“

Ebenso konsequent ist die schwedische Marke Asket: „Die Welt braucht nicht noch eine Modemarke, und sicherlich auch nicht mehr Kleidung. …  Wenn wir alle innehalten und nachdenken, ist es ziemlich klar, dass die einzige wirkliche Lösung darin besteht, die Produktion zu reduzieren, dem übermäßigen Konsum zu widerstehen, und sich für weniger, besser hergestellte Kleidungsstücke zu entscheiden.“

Quelle: Asket

Dafür sagt es der Fast Fashion Industrie den Kampf an: „Wir entwerfen nicht für Jahreszeiten, wir kreieren für die Ewigkeit. Wenn etwas nicht perfekt ist, verbessern wir es. Wenn etwas kaputt ist, reparieren wir es. Unsere Definition von Fortschritt ist eine reduzierte Garderobe. … Unsere Vision ist eine Welt ohne schnellen Konsum. Eine Welt mit weniger Ballast, weniger Müll, weniger Schall und Rauch. “ Deutliche Worte, denen sie allerdings auch konsequente Taten folgen lassen.

Aber was meinen sie mit „Schall und Rauch“? Dem widmen wir uns im nächsten Artikel.

(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)

Foto: Asket/ Business Punk