Wir haben unseren kleinen Ausflug durch die Modeindustrie abgeschlossen. Und egal, was bei jedem von uns individuell an Eindrücken bleibt, eins ist uns sicher allen klar geworden: Hinter jedem gekauften Kleidungsstück steht so viel mehr als ein T-Shirt oder eine Jeans: Menschen, Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen, Chemikalien, Treibhausgase. Das führt dazu, dass uns simple und plakative Aussagen darüber, was ein nachhaltiges Kleidungsstück und eine nachhaltige Modeindustrie ausmacht, nicht weiterhelfen.

Es macht absolut keinen Sinn, so viele Ressourcen in die Herstellung eines Kleidungsstücks zu stecken, es dann um die halbe Welt zu schicken, um gekauft und nur ein paar Mal getragen zu werden, um es dann einzusammeln, zu verbrennen oder wieder um die halbe Welt zu schicken, wo es auf einer Mülldeponie alle seine Bestandteile wieder langsam in den Boden, das Wasser, die Luft oder die Lungen von Menschen abgibt.

Es macht keinen Sinn, viele Milliarden von Fast Fashion Artikeln geringer Qualität, hergestellt mit fossilen Rohstoffen und unter brutalen Arbeitsbedingungen, nach kurzlebiger Befriedigung unseres Bedürfnisses nach Selbstverwirklichung schnell wieder zu entsorgen, um sich dem nächsten Kauf zu widmen.

Auch wenn wir einen perfekten Kreislauf von Kreislaufwirtschaft für Kleidung hätten, und jedes einzelne Kleidungsstück vollständig recyceln und in neue Textilfasern verarbeiten könnten, selbst dann würde es keinen Sinn machen, das jedes einzelne Jahr aufs Neue für mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke zu tun, weit vor dem Ablauf einer normalen Nutzungsdauer.

Die Modeindustrie braucht eine radikalere Vision, eine Vision die von den meisten Firmen als geschäftsschädigend bis selbstmörderisch abgelehnt werden würde. Um unsere Garderobe nachhaltig zu gestalten, müssten wir die Zahl der konsumierten Kleidungsstücke um wahrscheinlich 75% reduzieren. Das hätte für Hersteller wie für die Käufer riesige Implikationen. Jedes Kleidungsstück würde zählen. Kleidung würde wieder einen Wert haben.

In der Industrie müsste eine Transformation erfolgen hin zu Qualität. Produktdesign würde auf Haltbarkeit, Multifunktionalität und Zirkularität zielen. Es würde ein viel stärkerer Fokus auf Materialauswahl und -qualität gelegt werden. Materialinnovationen wie kohlenstoffnegatives „Leder“ (AirCarbon), Polyester aus eingefangenem Kohlendioxid (Fairbrics), Bio-Polymere aus organischen Abfällen (Full Cycle) oder synthetischer Gummi aus Algen (Bloom von Algix) würden gemeinsam mit recycelten Altfasern den Grundstock für neue Kleidung bilden.

Dem Verlust von Produktvolumen neuer Kleidung stünde ein höherer Produktpreis gegenüber, der auch die heute versteckten sozialen und Umweltkosten des Produkts einpreist. Ebenso würden durch Geschäftsmodelle wie Wiederverkauf, Produktvermietung und Reparaturdienste sowie den Vertrieb von Pflegeprodukten, die die Lebensdauer der Kleidung verlängern, neue Einnahmequellen erschlossen. Am Ende der Produktlebensdauer würden Recyclinglösungen bereitstehen, um alte Kleidung wieder vollständig in neue zu verwandeln.

Die Hersteller würden mehr direkte Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen, für die Auswirkungen auf die Natur (Landnutzung, Chemikalien, Wasserbedarf, Einsatz erneuerbarer Energien, green Shipping etc.) und die Menschen (existenzsichernde Löhne, gute Arbeitsbedingungen und -sicherheit). Darüber hinaus würden sie in die Regeneration von Ökosystemen und in die lokalen Gemeinschaften ihrer Herstellerländer investieren.

Für ihr Marketing würden sie neue Vorbilder suchen, eine andere Art von Influencern, die genau diese Geschichte erzählen, um authentisch mit ihren Kunden in den Austausch treten zu können und sie als mündige Bürger zu ermächtigen.

Die Hersteller würden sich zu ambitionierten Zielen und Prinzipien verpflichten, ihr Geschäft konsequent danach ausrichten und ehrlich über die erzielten Fortschritte Rechenschaft ablegen. Erstaunlicherweise sind die besten heutigen Beispiele dafür nicht bei den großen und gut ausgestatteten Modekonzernen zu finden, sondern bei kleinen Firmen wie Asket.

„We can’t live without clothing, but we can live with a lot less and a lot better clothing, by choosing better and making the pieces we invest in count.“

Asket

Eine solche Industrie würde genug produzieren, um uns ausreichend Zugang zu qualitativ hochwertiger, bezahlbarer, individueller Kleidung zu sichern. Aber damit die Bemühungen der unzähligen Akteure in der Modeindustrie, die leidenschaftlich, engagiert und unermüdlich positive Veränderungen vorantreiben, wirklich Früchte tragen können, braucht es systemische Veränderungen. Regulierung und Gesetze müssen klare, faire und konsequente Spielregeln für die Industrie definieren. Der New York Fashion Act, die EU Textilstrategie, die Extended Producer Responsibility oder das Lieferkettengesetz sind erste Schritte in diese Richtung.

Neben der Transformation der Industrie sowie starken Rahmenbedingungen durch Gesetze stehen als dritte Komponente einer nachhaltigen Modeindustrie wir selbst, die Käufer von Kleidung. Auf die einfachste Formel heruntergebrochen lautet das Motto: weniger kaufen, mehr bezahlen, länger daran festhalten.

Wieviel Kleidung benötigen wir, um gut zu leben? Die Antwort darauf wird individuell unterschiedlich ausfallen, aber der Idealzustand könnte so aussehen: Wir entziehen uns der Wegwerfkultur von Fast Fashion. Die Zahl der Kleidungsstücke, die durch unserer Garderobe rotiert, ist radikal reduziert. Wir kaufen nur das, was wir benötigen, auch aus 2. Hand. Die Basis unserer stark verkleinerten Garderobe besteht aus nicht saisonalen, hochqualitativen und langlebigen Basics aus natürlichen Materialien (idealerweise Monomaterial).

Highlights setzen ausgefallene Lieblingsstücke in unserem Besitz, selten benötigte Stücke (Abendkleider, Smoking, oder die Outdoorjacke für den jährlichen Wanderausflug) würden wir mieten. Die Miete schnell rotierender Mode allerdings vermeiden wir, denn im Vergleich zu langlebiger Kleidung in unserem Besitz erhöht sich der Gesamtfussabdruck dadurch sogar.

Gute Pflege verlängert die Lebensdauer unserer Kleidung – wir waschen sie seltener (Die Art des Materials macht einen großen Unterschied – ein Wollpullover oder eine Jeans benötigen nur sehr selten eine Wäsche) und auf niedrigen Temperaturen, nutzen den Trockner und das Bügeleisen weniger. Je länger ein Kleidungsstück genutzt wird, desto besser seine Umweltbilanz, Reduktionen von 50-75% sind möglich.

Reparaturen verlängern die Nutzungsdauer unserer Kleidung zusätzlich. Dabei müssen wir Haltbarkeit von Kleidung attraktiver machen. Ähnlich wie die Aufkleber von Reisezielen auf Koffern oder das japanische Konzept des Kintsugi könnten sichtbare Reparaturen als physische oder digitale „Ehrenabzeichen“ erzählen, was unsere Lieblingsstücke mit uns erlebt haben, eine alternative Art der Kommunikation unserer Identität und Persönlichkeit.

Wir kaufen nur von Marken, die sich aggressive Nachhaltigkeitsambitionen gesetzt haben und konsequent an der Transparenz ihrer Lieferkette und der Verbesserung ihrer genutzten Materialien und Produktionsprozesse arbeiten.

Und wir nutzen unsere Stimme, um auf Social Media oder mittels Petitionen die Probleme von Fast Fashion aufzuzeigen, ob Greenwashing, ausbeuterische und umweltschädliche Praktiken, oder Überkonsum, und wir fordern Veränderungen ein.

Ein vielzitiertes Argument für Fast Fashion lautet: „Viele Menschen können sich hochwertige Kleidung nicht leisten, sie müssen bei H&M und Primark einkaufen.“ Ja, unsere Kleidung würde auch teurer werden, sie würde die tatsächlichen und realistischen Kosten ihrer Herstellung reflektieren. Genauso wie Hersteller ihren Fokus auf Qualität und die Anzahl der möglichen Nutzungen von Kleidung richten müssen, sollten wir unseren Fokus vom Preis des Produkts auf den Preis pro Nutzung richten. Ein hochwertiges Shirt für 100 Euro, das 200x getragen wird, kostet uns weniger als das für 20 Euro, was nach 10x Tragen weggeworfen wird.

Wenn wir uns von der Idee lösen können, dass der Kauf eines weiteren Kleidungsstücks uns attraktiver oder besser macht, dann gewinnen wir vielleicht mehr Klarheit darüber, wer wir wirklich sind, was uns wichtig ist, und welche Kleidung uns dabei unterstützen kann. Stattdessen können wir den Fokus von Kleidung auf Erfahrungen richten, zum Beispiel auf gemeinsame Erlebnisse, die uns wieder in Verbindung mit der Gemeinschaft und der Natur bringen.

Die Modeindustrie ist kein Naturereignis. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass wir die Welt weiter zerstören, weil das heutige Modell für uns komfortabel ist. Menschen haben diese Industrie geschaffen, und Menschen können sie neu erfinden. Wir haben es selbst in der Hand.

Quelle: James Wheeler auf Unsplash

(Quellen: Gesamtauflistung aller Quellen hier)

Foto: Edward Howell auf Unsplash